Ober St. Veit
Pfarrkirche zum Heiligen Veit und Maria Zuflucht der Sünder

Erzdiözese Wien

Patrozinium: Heiliger Vitus (15. Juni)

I. Zur Geschichte

Die Pfarrkirche Ober St. Veit liegt auf einem seit dem Frühmittelalter befestigten Vorhügel des Wienerwaldabhanges in einer historischen Weinbau- und Milchmei-ergegend. Heute ist der Wiener Außenbezirk Hietzing um sie herumgewachsen, für dessen Bezirksteil Ober St. Veit sie den seelsorglichen Mittelpunkt bildet. Zur Pfarre gehörte von Alters her auch der Ort Hacking, der nie eine eigene Pfarrkirche besaß.

An der Stelle der heutigen Pfarrkirche stand in der späten Völkerwanderungszeit wahrscheinlich eine Kultstätte des slawischen Lichtgottes SVANTOVIT, dessen Hauptfest zur Sommersonnenwende (21. Juni) mit blutigen Tieropfern gefeiert wur-de. Die Inkulturierung erfolgte durch die christlichen Missionare des Bistums Passau (ab etwa 800 n.Chr.) durch Bau einer ersten Kirche des „Sanctus Vitus“ (Heiliger Veit). Das klang ähnlich und das Patroziniumsfest am 15. Juni lag zeitlich in der Nähe des alten Svantovit-Festes. Die Tieropfer wurden in Form des (unbluti-gen) Huhnopfers beibehalten, ein Brauch, der in der Ober St. Veiter Kirche bis etwa 1790 alljährlich am Vitustag geübt und dann staatlicherseits unterdrückt wurde.

Die ersten urkundlichen Nachrichten von der Pfarre St. Veit (an/auf der Wien) sind ein zwischen 1260 und 1298 geschriebener Brief eines Pfarrers Helias von St. Veit und ein um 1280 geschriebener Brief eines päpstlichen Pönitentiars (Strafrichter) an einen ungenannten Pfarrer von St. Veit. Eine Stiftungs- oder Gründungsurkun-de ist nicht erhalten. In räumlicher und rechtlicher Verbindung mit der Pfarrkirche bestand an der Stelle des heutigen Schlosses schon im Mittelalter ein befestigter Ansitz, eine „Veste“, als deren Besitzer ab 1315 die Herren von Topel erwähnt wer-den. Zuletzt erwarb Herzog Rudolf IV. („Der Stifter“) Schloss und Herrschaft und schenkte sie 1365 der von ihm gegründeten Dompropstei St. Stephan, aus der spä-ter die (Erz-) Diözese Wien wurde.

Kirche und Herrschaft St. Veit waren durch ein Patronat verbunden. Darunter ver-steht man das Recht des Herrschaftsbesitzers, bei der Besetzung der Pfarrerstelle Kandidaten zu präsentieren, wofür ihn im Gegenzug die Pflicht traf, Kirche und Pfarrhof aus seinen Mitteln zu erhalten. Das Patronat wurde zuletzt vom Erzbischof von Wien selbst ausgeübt und erst 1985 abgelöst – dieses war von größter Bedeu-tung für die bauliche Ausstattung der Pfarrkirche, der dadurch bischöfliche Geldmit-tel zuflossen, die sonst üblicherweise nicht zur Verfügung gestanden wären.

Die Türkeneinfälle von 1529 und 1532 waren eine Katastrophe für den Ort. Während die Stadt Wien standhalten konnte, waren die Vororte schutzlos preisgegeben. Kirche, Schloss, Pfarrhof und ein Teil der Häuser von St. Veit brannten ab, die Bewohner flüchteten in den Wald nahe Hütteldorf und wurden dort massakriert. An die Türkenkatastrophe schlossen sich die Wirren der Reformationszeit an. Während die (bischöfliche) Herrschaft St. Veit katholisch blieb, bekannte sich die Herrschaft Hacking zeitweise zum Protestantismus. Immerhin erfolgte in dieser Zeit ein notdürftiger Wiederaufbau der beschädigten Gebäude. 1683 brach die zweite Türkenkatastrophe über den Ort herein, die Kirche wurde neuerlich stark beschädigt und wiederum wurden zahlreiche Ortsbewohner ermordet.

In der darauf folgenden Barockzeit kam es erstmals zu einem tiefgreifenden Wiederaufbau und zu einer Erneuerung des religiösen Lebens, 1713 allerdings durch eine in St. Veit wütende Pestepidemie schwer gestört. 1747 gründeten zwei Einsiedlerbrüder die Einsiedelei am Gemeindeberg (an der Stelle des ehemaligen St. Josefs-Heimes, Stock im Weg 1a), die bis 1782 bestand. 1756 wurde der rund um die Kirche gelegene Friedhof in den Bereich Auhofstraße / Rohrbacherstraße verlegt, wo er bis 1908 bestand – seither ist er in die Parkanlage „Streckerpark“ umgewandelt.

1803 wurde im Bereich (heutige) Feldmühlgasse / St. Veit-Gasse der Ort „Unter St. Veit“ neu angelegt. Damals bürgerte sich für den Altort die Bezeichnung „Ober“ St. Veit ein. Die Neusiedlung hatte bis 1867 keine eigene Kirche. Die napoleonischen Kriege am Anfang des 19. Jahrhunderts brachten dem Ort einige Unbillen. 1809 waren Soldaten des mit Napoleon verbündeten Königreiches Sachsen in Ober St. Veit einquartiert, das Schloss war als Notspital requiriert. Die Gefallenen wurden auf einem ehemaligen Pestfriedhof Ecke Schweizertalstraße – Mariensteig bestattet, woran das dort heute noch bestehende „Sachsenkreuz“ erinnert.

Die weitere Pfarr- und Kirchengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts verlief eher unspektakulär. Bis 1850 befand sich der Pfarrhof in einem sehr alten Häuserkonglomerat an der Stelle des heutigen „Elisabethinums“ (Vitusgasse 2) und wurde erst dann an den heutigen Platz direkt unterhalb der Kirche verlegt. Kennzeichnend für die Zeit der Jahrhundertwende war das ungeheure Siedlungswachstum rund um den Ortskern, welches die Zahl der Pfarrangehörigen vervielfachte.

Gesinnungsdruck und seelsorgliche Einschränkungen während der NS-Zeit folgten den in ganz Österreich typischen Mustern. Kirche, Schloss und Pfarrgebäude hatten das Glück, von Kriegsschäden verschont zu bleiben. Nach dem Krieg blüh-ten Seelsorge und Pfarraktivitäten neu auf und haben sich bis zum heutigen Tage vielfach erneuert und umgestaltet.

II. Baugeschichte

Über die bauliche Gestalt des ältesten Kirchengebäudes ist nichts bekannt. Es war mit der „Veste St. Veit“ zweifellos zu einer Wehranlage verbunden. Baugeschichtliche Vergleichsbefunde legen nahe, dass die heute noch bestehende Krypta unter dem Hochaltar während der Zeit Rudolfs IV. als Grundherr von St. Veit (1361 - 1365) durch die Dombauhütte von St. Stephan errichtet wurde. 1433 ließ Dompropst Wil-helm Tuers darüber eine neue Kirche im Stil einer einfachen, spätgotischen Land-kirche errichten. Infolge von deren Baufälligkeit – die Schäden der 2. Türkenbelage-rung waren nie vollständig behoben worden – ließ Erzbischof Sigmund Graf Kollo-nitz 1742-45 als Patronatsherr einen Kirchenneubau auf seine Kosten ausführen. Als Baumeister verpflichtete er Mathias Gerl den Jüngeren, von dem auch Kirchenbauten in Oberlaa, Hainburg und Eger (Ungarn) stammen, die der Ober St. Veiter Kirche optisch sehr ähnlich sind. Von der alten Kirche wurde das Mauerwerk des Chorabschlusses (Altarraum) belassen, ebenso der untere Teil des Kirchturmes. Am 22. August 1745 weihte Kardinal Kollonitz die neue Kirche und gab ihr den zusätzlichen Weihetitel „Maria Zuflucht der Sünder“, Restaurierungen gab es 1958 (innen), 1962 und 1994/95 (Außenrenovierung mit Neubau der Taufkapelle). 2002 erfolgte die bisher letzte Innenrenovierung mit Umgestaltung des Altarraumes.

III. Der Kirchenbau

1. Äußeres

Die prächtige, stilreine Barockkirche ist in erhabener Lage in die spätmittelalterliche Wehrkirchenanlage hineingestellt, deren Stützmauern die Kirche an zwei Seiten umgeben. Die Chorseite ist als gegen den Ort orientierte Hauptansicht gestaltet, kräftige Strebepfeiler mit Volutenbekrönung schließen den Chorraum zum Wolfrathplatz hin ab. Die breiten Proportionen der Anlage sind durch den Vorgängerbau bedingt. Unter dem auffallend hohen Walmdach befindet sich eine mächtige, nur vom Kircheninneren aus sichtbare Kuppel. Der Turm ist im Glockengeschoß mit io-nischen Eckpilastern und Uhrengiebelkranz versehen, darüber befindet sich der spätbarocke Zwiebelhelm. Die mit einem Kreuz bekrönte Metallkapsel an der Kirchturmspitze birgt Originalurkunden des Jahres 1745 (1965 aufgefunden, ergänzt und wieder eingeschlossen), die man aus Angst vor einer Rückkehr der Türken dort in Sicherheit wissen wollte. Über dem Seitenportal der Südwand befindet sich das Wappen des Kardinals Kollonitz mit Kardinalshut. Am südlichen Strebepfeiler der Außenwand ist eine rote Marmortafel von 1433 mit Stiftungsinschrift des Propstes Wilhelm Tuers eingelassen. Im Nordwesten ist die Kirche über einen Verbindungstrakt mit dem Erzbischöflichen Schloss zusammengebaut. Der Hauptaufgang zur Kirche wurde im Jahre 2011 behindertengerecht umgestaltet.

2. Innenraum

Zwischen zwei breiten Rundbogenfenstern spannt sich eine Kuppel über die ganze Breite des Haupthauses, welches als Zentralraum mit ausgerundeten Ecken ange-legt ist. Das baulich davon abgesetzte Presbyterium wird von Gurtbögen überspannt und seitlich von zwei Oratorien mit geschwungener Brüstung begrenzt. Die Längsachse der Kirche ist astronomisch genau nach Osten ausgerichtet. An den Wänden sind umlaufend 14 Kreuzwegbilder eines unbekannten Künstlers aus der Zeit um 1730 aufgehängt. Das Gesicht der Heiligen Veronika auf der 6. Station ist eine Übermalung mit feinen Porträtzügen.

Altarraum:

Der barocke Hochaltar wird von einem prächtigen Aufbau aus marmoriertem Holz umrahmt. Auf einem zweigeschoßigen Sockel ruhen links und rechts je zwei graue Säulen, dazwischen überlebensgroße Statuen – links der Heilige Sebastian (Schutzpatron gegen Pest, dargestellt beim Martyrium), rechts der Heilige Florian (Schutzpatron gegen Feuer, dargestellt beim Löschen eines brennenden Hauses). Die Rückwand des Altarraumes ziert ein Monumentalbild, darstellend die Marter des Heiligen Veit, gemalt von dem Maulbertsch-Schüler Franz Anton Tschungko . Der Tabernakel ist nicht mehr original, sondern ist ein 1909 angebrachter Ersatz für einen ursprünglichen barocken Drehtabernakel. Links und rechts davon knien anbetende Engel. Bekrönt werden Tabernakel und Altarmensa durch das vorgesteckte Gnadenbild „Maria Zuflucht der Sünder“. Über dem Gebälk, das auf den Säulen ruht, befindet sich vor einem gelb verglasten Rundfenster eine Taube in Glorie, die in der Morgensonne sehr effektvoll angestrahlt erscheint. Das barocke Kommuniongitter wurde in Richtung Altarwand versetzt, um mehr Platz für den neuen Hauptaltar (Volksaltar) zu schaffen, welcher am 1.12.2002 von Kardinal Christoph Schönborn geweiht wurde.

Kanzel:

Sie ist das bedeutendste plastische Kunstwerk der Kirche, der Künstler ist unbekannt. Der polygonale Kanzelkorb zeigt reiches, vergoldetes Schnitzwerk und die Reliefs „Aussendung der Apostel“ sowie „Hll. Petrus und Paulus“. An der Rück-wand ist das Martyrium des Hl. Veit dargestellt, auf dem Schalldeckel befindet sich eine Figurengruppe von Evangelisten und Putten, von Christus als Weltenherrscher überhöht. Seitenaltäre: Vier flache Wandaltäre stehen in paarweiser Symmetrie zueinander schräggestellt vor den vier Pfeilern des Zentralraumes. Sie sind aus Stuckmarmor mit reichem Rocaillenbesatz gefertigt und werden durch Engel- und Puttengruppen bekrönt. Die beiden vorderen Seitenaltäre sind Maria (links) und Josef (rechts) ge-weiht. Das linke Altarbild zeigt die Himmelfahrt Mariens, das rechte den Heiligen Josef, von Engeln emporgehoben, beide von Gaetano de Rosa. Der rechte hintere Seitenaltar trägt ein Bild der Hl. Anna (die Jungfrau Maria das Lesen lehrend), gemalt von Augustin a San Luca. Am linken hinteren Seitenaltar dagegen ersetzt eine Skulpturengruppe, die Christus am Kreuz mit seiner Mutter und Johannes darstellt, das Altarblatt.

Glocken:

Im Kirchturm hängen drei historische Glocken. Weiters ist noch ein leeres Gestänge für zwei weitere Glocken vorhanden, die es zeitweise gab, die jedoch durch die Metallablieferung im 2. Weltkrieg verloren gegangen sind. Aktuell vorhan-den sind:
• große Glocke: 1600 kg, 135 cm Ø, Gussjahr 1745, gegossen von Johann Jo-seph Pfrenger, mit vier eingegossenen Halbreliefs in Medaillongröße
• mittlere Glocke: 450 kg, 92 cm Ø, Gussjahr 1695, gegossen von Johann Kip-po, Seitenverzierungen: Kruzifix und Madonna mit Kind
• kleine Glocke: 50 kg, 40 cm Ø, Gussjahr 1724, gegossen von Johann Baptist Dival

Orgel:

Die Orgel ist ein pneumatischer Typ und stammt aus dem Jahr 1932. Sie wurde von dem Orgelbauer Johann Kauffmann errichtet. Die damals abgetragene Vorgängerorgel (1864, Franz Ullmann) wurde in die Pfarrkirche Siebenhirten übertragen, wo sie heute noch spielt. Die jetzige Orgel hat 15 Register, 6 Koppeln, 2 Ma-nuale und ca. 550 Pfeifen. Über der Orgel sieht man noch das (jetzt von hinten zugemauerte) Fenster des ehemaligen Oratoriums für den Schlossherren.

3. Taufkapelle, Krypta und Nebenräume

Die Taufkapelle wurde 1994/95 nach Plänen des Architekten Hermann Bauer an die Kirche nordseitig angebaut. Sie ersetzte eine 1965 errichtete frühere Taufkapelle, die wegen extremer Baumängel nicht sanierbar war. Der halbkreisförmige, gemauerte und von zwei vorgestellten Säulen flankierte Altarraum liegt im Mittelteil der verglasten Nordfassade. Altar und Ambo stammen von dem Lienzer Künstler Peter Niedertscheider.

Die Sakristei enthält ein marmornes, muschelförmiges Lavabo (Handwaschbecken) und eine dem 16. Jh. zuzuordnende Sakramentsnische mit Schmiedeeisengitter.

Die 1902 im Geschmack der Jahrhundertwende eingerichtete Antoniuskapelle war ursprünglich zweite Sakristei zur Bedienung des vor der Kirche gelegenen Friedhofes (jetzige Parkanlage). Ihr Buntglasfenster ist eine Spende der Familie Wimpissinger.

Die Krypta unter dem Altarraum ist seit der Innenrenovierung von 2002 wieder durch eine (mit hölzerner Falltüre verschlossene) Treppe vom Mittelgang der Kirche aus zu betreten. Sie hat einen sechsteiligen Grundriss mit einer achteckigen Mittelsäule. In der Barockzeit wurde ein (heute stark verwitterter) Altar in den Raum hineingestellt. Die Krypta ist astronomisch-mathematisch ganz exakt so angelegt, dass der durch das Ost- und das Südfenster einfallende Lichtkegel an architektonisch markanten Punkten der Mittelsäule (Fuß und Gewölbeansatz) die Tage der Sonnenwenden und der Tag- und Nachtgleiche anzeigt. Zur Wintersonnenwende fallen die Lichtstrahlen bei Sonnenaufgang, die Gewölbedecke streifend auf die Mit-telsäule. Der Lichtfleck wandert mit zunehmender Jahreszeit den Grat entlang und beleuchtet um 9 Uhr vormittag zum Äquinoktium (21.März) gerade die Mittelsäule. Im weiteren Jahresverlauf erreichen die Sonnenstrahlen den Kryptaboden und wandern Richtung Ostfenster weiter, so dass sie zum Solstitium (21. Juni) die Strecke Säule – Fenster genau halbieren. An diesen astronomischen Wendetagen sind auch die Uhrzeiten 12 Uhr und 15 Uhr an markanten Punkten ablesbar. Das „Know-How“ stammt vermutlich von der Dombauhütte zu St. Stephan, dennoch ist das Ganze irgendwie rätselhaft. Die Krypta ist nicht als Sakralraum konzipiert, sondern wohl als Grabstätte für die Schlossherren.

Text: Dr. Gebhard Klötzl

Literatur (Auswahl):

Festschrift „700 Jahre Pfarre Ober St. Veit“ (1987)
Dehio-Handbuch, Die Kunstdenkmäler Österreichs, Wien X. bis IX. und XXI. bis XXIII. Be-zirk (1996), S. 171-173.
Gugitz, Gustav, Das Huhnopfer in Ober-St. Veit und der Heilige Veit. In: Unsere Heimat VI. Band (1933) S.212-241.
Kraft, Josef, Aus der Vergangenheit von Ober St. Veit (1952) [ausführliche Pfarrgeschichte]
Österreichische Kunsttopographie, Bd. II: Die Denkmale der Stadt Wien XI. bis XXI. Be-zirk (1908)
Twaroch, Franz, Die Krypta der Pfarrkirche Ober St. Veit (1990) [Manuskript im Pfarrarchiv]
Weissenbacher, Gerhard, In Hietzing gebaut. Architektur und Geschichte eines Wiener Bezirkes, Bd. I (1996), S. 92-95.